Vorarlberg ist bislang das einzige Bundesland ohne Literaturhaus. Das wird es noch so lange bleiben, bis sich die Türen der Villa Iwan und Franziska Rosenthal nach einer Sanierungsphase öffnen. Das geschichtsträchtige Anwesen im jüdischen Viertel der Stadt Hohenems soll eine neue Bestimmung bekommen, Umbaupläne liegen derzeit auf den Zeichentischen, das Areal birgt ein echtes und denkmalgeschütztes Juwel voller Geschichten und Geheimnisse. Dieses zu neuem Leben zu erwecken wurde in die Hände von Frauke Kühn gelegt, einer diplomierten Kulturmanagerin und seit 2015 Geschäftsführerin von literatur:vorarlberg netzwerk. Sie hat die letzten Jahre damit verbracht, die Literaturveranstalter*innen des Landes miteinander in Beziehung zu bringen, sie mit Know-how und Geschick in ihrem Tun zu unterstützen und damit die gesamte Literaturlandschaft sichtbarer zu machen. Ihre erfolgreiche Arbeit war der Grund für das Land Vorarlberg und die Stadt Hohenems, ihr die Konzeption eines modernen Literaturhauses zu überlassen. Bis diese Landschaft ein repräsentatives Haus sein eigen nennen kann, wird es noch eine Weile dauern, einzelne Veranstaltungen inmitten der Baustelle haben aber bereits erste Spuren in der alten Villa hinterlassen – und bestimmt auch in den Phantasien der Gäste. Es ist schon jetzt ein Ort voller Zauber, und in ihm warten ganze Räume voller unbeschriebener Seiten auf Kreative und Interessierte, auf Autor*innen, Schüler*innen und andere Beteiligte. Auf alle, die sich einbringen und mitdenken wollen, auf alle, die ihre eigene Geschichte mit dem Haus verweben möchten.
sagt Frauke Kühn auf die Frage nach der Bedeutung von Literatur in 21. Jahrhundert.
„So gesehen können auch Bereiche wie der Tourismus mit uns mitgehen. Wenn wir an einen neuen Ort reisen, dann sind wir dankbar dafür, etwas über diesen Ort zu erfahren, seine Identität kennen zu lernen. Am besten über wahre Geschichten und authentische Stimmen. Ich glaube da hat die Literatur eine große Kraft, die Menschen anzuziehen, das gilt für die Touristen ebenso wie für die Einheimischen . Das ist zum Beispiel das Spannende an der Paula, dem literarischen Stadtführer, den wir gemeinsam mit der Montforthaus Feldkirch GmbH verantworten dürfen. Dieser Erzählband ist eigentlich für die Gäste der Stadt gedacht, wird aber inzwischen auch von den Feldkircherinnen und Feldkirchern unglaublich gerne gelesen. Seine eigene Stadt in diesen Geschichten erzählt zu bekommen, macht auch was mit den Menschen, die ihre Stadt in und auswendig kennen.“
Die Menschen in Hohenems waren jedenfalls schon mehrfach eingeladen, sich gemeinsam mit dem Team um Frauke Kühn an einen Tisch zu setzen und Ideen, Wünsche und Befürchtungen auszutauschen und Geschichten zu erzählen. Die alte Villa steht an einer zentralen Stelle in der Stadt, aber auch in der geografischen Verortung des Landes. Es wird nicht lange dauern und das Haus wird auch im Zentrum einer geistigen Verortung weit über die Landesgrenzen hinaus stehen. Sichtbar wurde das bereits während der Corona-Maßnahmen mit dem Briefprojekt Cara Roberta. Grenzüberschreitende Briefwechsel von sechs zufällig zusammen gewürfelten Briefpaaren beleuchten die Situationen und die Wahrnehmung der Autorinnen und Autoren – das Projekt „Cara Roberta.“ lässt das Reisen wieder zu und bleibt gleichzeitig im gebührlichen Abstand. Nachdem die wenigen Veranstaltungspläne abgesagt werden mussten, kommen mit „Cara Roberta.“ vier Länder und mit dem Literaturhaus Liechtenstein, dem Literaturhaus St. Gallen und der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung drei weitere Kooperationspartner gemeinsam in einen intensiven Austausch.
Sie kann Heimat geben, Herkunft sogar, sie kann uns erzählen, woher wir kommen, welche Aufgaben unsere Ahnen vor uns bewältigt haben, was sie erhofften. Sie kann uns darauf hinweisen, was vor uns liegt. Beispielsweise ein neuer Geist in alten Mauern, eine Inspiration für Generationen und eine Heimat für Gäste aus aller Welt.
Dazu noch einmal Geschäftsführerin Frauke Kühn: „Ich bin immer von dem Bild geprägt, dass unsere Geschichte am Lagerfeuer begann. Was in Urzeiten unser Überleben gesichert hat, waren erzählte Geschichten. Die Tatsache, dass wir erzählen und dass wir zuhören, diese prägende Erfahrung ist immer noch in unserer DNA vorhanden, bei jedem von uns, egal ob wir in einer Familie aufwachsen, in der gelesen wird oder nicht. Egal ob mit Büchern oder über andere Medien, am Ende geht es auch heute immer darum, etwas erzählt zu bekommen und zuzuhören.“